Michael

"Mobilität" hat sehr viele schöne Facetten. Schon die ganz Kleinen "bewegen" sich nach Herzenslust und finden es später ganz spannend, ihren Aktionsradius zu vergrößern. Sei es, nach der Krabbelphase, mit den eigenen Beinen "zu Fuß" oder wieder ein kleines bisschen später, mit dem "muskelbetriebenen Rad" (Dreirad, Roller, Fahrrad, Inliner/Roller-Skates, Skateboard, Einrad).
Genauso hat sich das bei mir auch entwickelt. Und es war schön: übersichtlich, einfach, kostengünstig und umweltfreundlich.

Als ich nach der Schule dann das entsprechende "Zahnrad" als Mitglied der modernen Gesellschaft drehen musste, veränderte sich auch meine Mobilität. Da ich meinen Job außerhalb meines Wohnortes hatte, griff ich anfangs auf den ÖPNV zurück. Vermutlich getrieben durch männliche Gene und geleitet durch gesellschaftliche Normen, kam ich dann zum "motorisierten Zweirad".
Damit wurde dann alles unübersichtlicher, komplizierter, teurer und umweltschädlicher. Schön war es aber dennoch, nur auf einer andere Art und Weise.

Da meinen Eltern motorisierte Zweiräder nicht ganz geheuerlich waren, boten sie mir damals an, eine gehörige Portion Kleingeld dazu zu legen, wenn ich auf einen Pkw umsteige. Diesem großzügigen Angebot konnte ich mich nicht sehr lange entziehen und hatte bald darauf einen neuen VW Golf vor der Tür stehen.
Es wurde also noch komplizierter, teurer und umweltschädlicher. Aber wieder war es auch schön, nur wieder auf eine andere Art und Weise.

Nachdem beruflich alles eingetütet war und auch alles andere in meinem Leben recht geordnet lief, konnte ich mich gesellschaftlich weiter entwickeln. Ich fing an, mich mehr für Familie, Politik und Kultur zu interessieren. Dabei kamen viele Erinnerungen aus meiner Kinder- und Jugendzeit hoch, die sich letztendlich unter dem Strich wieder zu "übersichtlich", "einfach", "kostengünstig" und "umweltfreundlich" formierten. Auf dieser Grundlage fing ich an, mich in meinem Leben einzurichten und zu planen, Informationen zu sammeln und all das zu machen, was man so tut, wenn man "bei sich anfangen möchte".

Es muss so um 1997 gewesen sein, als ich mein erstes wirklich großes Projekt in Angriff nahm: ein Eigenheim. Natürlich keines dieser Art, wie es überall gebaut wird, sondern eines, dass dem Niveau einer so entwickelten Gesellschaft, wie der unseren, gerecht wurde. So plante ich also in Richtung "Passivhaus"; eine im Prinzip schlichte aber, wie ich fand, geniale Idee.

Die Planungen für das Passivhaus brachten viele neue Impulse für mein Denken und ich lernte eine Menge neuer interessanter Leute kennen. Rückblickend aber war wohl das Entscheidenste, dass viele meiner nicht gerade sehr gehaltvollen Zweifel im Hinblick auf die grundsätzlichen Mechanismen bzw. Abläufe in unserer Gesellschaft nun mit fundierteren Argumenten untermauert wurden und in mir eine Lust weckten, es anders (vielleicht besser) zu machen.

Das Passivhaus, u.a. zusammen mit einem sehr fähigen Architekten geplant, wurde ein voller Erfolg (Bauzeitenplan erfüllt, Finanzrahmen eingehalten, Wünsche zufrieden gestellt). Dieser Erfolg trieb mich dann auch wohl in erster Linie dazu, dass ich mich nach weiteren Möglichkeiten umgeschaut habe, "vorbildliche" Akzente zu setzen. Lose Kontakte zur "Lokalen Agenda" meines Ortes festigten sich und als nächstes Ziel wurde die Mobilität konkreter ins Visier genommen.

Durch meine Leidenschaft des Liegeradfahrens hat sich mir nach dem Hausbau das Thema "Velomobil" aufgedrängt. Irgendwie kreiste in meinen Gedanken in der Vergangenheit immer wieder die Idee, den täglichen Arbeitsweg (25 km, einfach) mit Muskelkraft zu bewerkstelligen. Durch meine Kontakte zur "Spezi" (Spezialradmesse) hatte ich schon viele Velomobil-Konstruktionen kennengelernt und auch gefahren. In erster Linie war es wohl der Preis (mindestens drei meiner damaligen Monatsgehälter), der mich vom Erwerb eines solchen Gefährts abhielt. Aber ich hatte auch eine ganze Menge Zweifel, was die Alltagstauglichkeit anbelangte.

Vermutlich über die sich langsam verbreitende Idee des "E-Bikes" kam ich schließlich zum "E-Mobil", allen voran zum Twike. Seinerzeit für mich ein Traum von Mobilität. Preislich allerdings weit jenseits meiner Akzeptanz. Das alternativ dazu relativ erfolgreiche City-el war zwar preislich nicht ganz uninteressant, gefiel mir aber stilistisch überhaupt nicht. Mangels besserer Alternativen habe ich mich dann aber doch 2003 für ein solches entschieden. Und es war schön "und" umweltfreundlich. Übersichtlich, einfach und kostengünstig dagegen war es nicht. Zu den Kosten vielleicht nur soviel: natürlich ist ein E-Mobil von der Klasse eines City-els fast unschlagbar in den Betriebskosten (im Vergleich zu anderen motorisierten Alternativen!), aber was ist mit den Anschaffungskosten (bei mir fast 9.000,- €)? Und nicht selten ist das E-Mobil ein "zusätzliches" Fahrzeug und spart als solches unterm Strich erst nach elend vielen Jahren (vielleicht!) tatsächlich Kosten ein. Aber gut, Versuch macht klug.

Einmal auf dem Weg, gesellten sich zu Passivhaus und City-el weitere dazu passende/sinnvolle Dinge. Zum einen wurde der lärmende und stromfressende PC durch einen extrem sparsamen und stillen, weil wassergekühlten seiner Art ersetzt (PC-Arbeit ohne Ventilatoren, ein Traum!). Das knapp 15 Jahre alte Familienauto (ein Audi) wurde aufgrund eines finanziell sehr günstigen Angebots und einiger Fördermittel durch einen Erdgas-angetriebenen Pkw (ein Opel Zafira) ersetzt (abgesehen von der etwas schwachen Leistungsentfaltung ist die ganze Familie sehr sehr zufrieden). Und im Haushalt wurden sämtliche elektrischen Verbraucher recht konsequent auf ihren Verbrauch hin optimiert.

Das hört sich jetzt zwar alles wahnsinnig gut an und für einen Ottonormalenergieverbraucher im Prinzip auch sehr erstrebenswert, aber so richtig zufrieden bin ich damit immer noch nicht. Eben, weil es zu unübersichtlich, zu kompliziert, zu teuer und unterm Strich dennoch zu umweltschädlich ist.

Wieso das denn, wird sich hier mancher vielleicht fragen. Aber das lässt sich recht einfach beantworten. Als ich noch Ottonormalenergieverbraucher war, wusste ich noch nichts von passiv geheizten Häusern, elektrisch fahrenden Autos, Stand-by-Verbrauchern und vielen anderen ähnlichen Dingen. Es hatte für mich also einen großen Reiz, die Dinge kennen zu lernen, um Alltagsprobleme intelligent zu bewältigen. Heute habe ich zwar einen Teil meiner "damaligen" Probleme gelöst, habe dafür aber eine unübersehbare Menge an neuen Problemen kennen gelernt. Ich möchte das Mal an einem ganz normalen Tagesablauf etwas konkreter erklären.

Wenn ich morgens aufstehe, mache ich mir manchmal Gedanken über die Luftfeuchtigkeit, weil ich durch das Leben in meinem Passivhaus mit dem Thema in Berührung gekommen bin. Nach dem Gang zur Toilette benutze ich oft nicht die Spülung, sondern den in einer Gieskanne aufgefangenen Kaltwasserstempel, weil ich erfahren habe, wie verschwenderisch die entwickelten Länder mit dem Wasser umgehen. Bei der Vorbereitung des Frühstücks sehe ich eine Unmenge kritischer Produkte unserer Gesellschaft, angefangen von dem Tetrapack, über den Joghurtbecher bis hin zum potenziell mit Pestizidrückständen versehenem Obst, weil ich die Hintergründe all dieser Dinge bei meiner Mitarbeit im Rahmen der Loaklen Agenda kennen gelernt habe. Während ich die Tageszeitung lese, gehen mir manchmal die immer kleiner werdenden Regenwälder durch den Kopf und deshalb beruhige ich mich oft mit dem Gedanken, dass unsere Tageszeitung immerhin von zwei Familien gelesen wird und beide Familien diese auch noch zum Einwickeln des Komposts benutzen. Erledige ich vormittags größere Mobilitätsaktivitäten und fahre dabei umweltbewusst mit meinem Erdgas-Zafira, denke ich dennoch an die Endlichkeit des Erdgases. Bei der Erledigung der kleineren Mobilitätsaktivitäten mit meinem City-el, denke ich u.a. an die nächste Spannung der Kette, das nächste Aufpumpen der Reifen, die mir verbleibende Restreichweite und die Lebensdauer der Akkus, weil ich schon viele teils abenteuerliche Erfahrungen gesammelt habe. Bei den immer wiederkehrenden Tätigkeiten in meinem Haushalt, wie Geschirr spülen, Wäsche waschen, Oberflächen wischen usw. denke ich an die vielen kritischen Stoffe, die in einem Haushalt verwendet werden. Nachmittags, wenn die Kinder vom Sportverein zur Musikschule oder vom Nachhilfeunterricht zum Freund chauffiert werden, spüre ich hautnah, wie krass unsere Mobilität anfängt, aus dem Ruder zu laufen. Getoppt wird das dann nur noch durch die von unserer Gesellschaft angeleiteten Urlaubswünsche der Familienmitglieder beim Abendbrot, oder die Hinweise im Radio über die Pendlerproblematik. Beim abendlichen Fernsehkonsum geht mir die Gigantomanie der Bildschirmgrößen und der damit einhergehende Stromverbrauch durch den Kopf. Bevor ich ins Bett gehe, treffe ich immer öfter meine Frau vor ihrem PC, weil ich an meinem PC kurz noch mal in die eMails schauen möchte und denke dabei an unsere extrem beschleunigte Gesellschaft, die immer weniger in der Lage ist, ihr unübersichtliches, kompliziertes, teures und umweltschädliches Verhalten in den Griff zu bekommen. Bei dem Gedanken, dass das alles irgendwie auch schön ist, schlafe ich dann oft ein.

Liebe Grüße, Michael